Magdalena von Rudy hat in den letzten Jahren ungewöhnlich eindringliche und zugleich minimalistische Videowerke geschaffen. Sinnlichkeit, präzise, zurückgenommene Farbigkeit sind dabei ebenso Stichworte wie Konzeptualität und gesellschaftliche Bedeutung. Diese eher widersprüchlichen Stichworte bedürfen einer Einordnung.
Vielleicht gelingt es am klarsten, wenn man zwei Eckpunkte benennt:
auf der einen Seite die Videoperformance-Bänder der frühen 70er Jahre von Vito Acconci: konzentriert auf den allein agierenden Performer Acconci wird der Betrachter mit sparsamen Gesten und besonders intensiv mit Worten - mal schmeichelnd, mal herausfordernd, aber immer intensiv mit rauer, kraftvoller Stimme intoniert - auf die Situation, die Rolle, die Gefühle des Künstlers hingewiesen. Jeweils existentiell bewegende, literarisch poetisch gefärbte oder aggressiv fordernde Monologe dringen auf den Betrachter ein. „My presence is behind the scenes. The viewer´s position is: participatory. The mode is: desire, actualisation. The movement is: inside – outside. The intention is: cultural analysis. The method is: essayistic .. The result is: community action. The style is: rhetorical, exhortatory.” – so schreibt Acconci zu seinen Videobändern der 70er Jahre, wie den “Red Tapes” (Zitat aus Kate Linker, V.A., Rizzoli, New York 1994, S. 79)
Der andere Eckpunkt sind diejenigen Werke der letzten ca. 12 Jahren, die mit Found Footage arbeiten, das heißt: dank der Verfügbarkeit der Filme auf Video und im Internet haben sich viele Künstler darauf spezialisiert, ausschließlich vorhandene Bildwelten zu zitieren und für ihre Werke zu verwenden. Eines der herausragendsten Beispiele ist von den wohl profiliertesten Künstlers dieses Genres 1999 geschaffen worden: die „Phoenix Tapes“ von Christoph Girardet und Matthias Müller.
Aus 40 Filmen Alfred Hitchcocks schufen die beiden einen sechsteiligen „neuen“ Hitchcock-Film, der auf ähnlichen Bildwirkungen beruht wie die Filmsprache des Meisters – aber nur aus gefundenem, zitiertem Originalmaterial.
Magdalena von Rudy arrangiert in dem mit dem 12. Marler Video-Kunst-Preis 2006 ausgezeichneten Videoband „Persona Syndrom“ eine einfache Szene, die ruhig und direkt mit nur wenigen Schnitten intensiv auf die sprechenden Gesichter zweier junger Frauen zeigt. Wir können nur den Ton hören, der von einem Film auf dem unsichtbaren Monitor stammt – und dessen schwedisches Original die junge Frau, wohl zum ersten Mal hörend, entsprechend live übersetzt. Dieses „Live“ verändert die Reaktionen, die Sprache, die Stimme, ja, auch die innere Erregung und Anspannung – denn es handelt sich um eine höchst erotische Erzählung einer Krankenschwester aus Ingmar Bergmanns Film „Persona“ von 1966. Die uns sichtbare, übersetzende, junge Frau fühlt das Erzählte, die intime Beschreibung einer Liebesbegegnung, ist irritiert, verschämt – doch Zeit für Reflektionen bleiben ihr kaum, denn die Erzählung im Originalfilm geht ja weiter. Die zweite Frau neben der Übersetzenden ist als Zuhörerin eine weitere Reflexions-Figur – diesmal noch konkreter für mich, den Zuschauer dieses Videos, der ebenso suggestiv in die Geschichte hineinhört – und die Erotik der vor mehr als 40 Jahren alten Filmerzählung noch immer spürt. Diese verschiedenen Wahrnehmungsebenen des Originalfilms, der Übersetzenden, der Zuhörenden und wir als Betrachter des Videobandes verbinden sich in einer suggestiven Intensität. Durch die Konzentration des Bildes und des Tones entsteht trotz der konzeptuellen Minimalistik eine spannungsvolle, sinnliche Atmosphäre und zugleich ein reflektierender Bild-Essay über den Voyeur, die Neugier und die Scham – das sind grundlegende Themen im bisher sieben Werke umfassenden Oeuvre der 35jährigen Künstlerin, die als gebürtige Polin heute in Wuppertal lebt.
Im Grunde ist der Voyeurismus nicht nur im Video (= „ich sehe“) ein Grundthema, sondern auch eines jeden bildkünstlerischen Mediums und doch ist das indiskrete Zuschauen selten so präzis und sparsam thematisiert wie in Magdalena von Rudys Videoarbeit „Persona Syndrom“, das den Bogen von Bergmanns Film der prüden 60er Jahre zu den heutigen schamlosen Selbstdarstellungen im Internet.
Das Thema der Reflektion über Vorgefundenes, das Variieren der Resonanz-Räume ist ein durchgehendes Motiv in den Video-Arbeiten von Magdalena von Rudy, die als Meisterschülerin bei Tony Cragg an der Düsseldorfer Kunstakademie räumliches Gestalten ebenso studiert hat, wie die Medienrealitäten der Film- und Fernsehwelten. Es erstaunt, wie hier eine völlig eigenständige Vorstellungswelt Filmzitate und theoretische Reflektionen über die Schichten der Wahrnehmung zu sinnlich attraktiven Werken verbindet, die alles andere als trockene Konzepte sind.